Der Kodex/Codex (Mz. Kodizes oder Codices) ist der Wegbereiter des heutigen Buches. Er setzte sich etwa Mitte des 4. Jahrhunderts gegenüber dem Rotulus (der Schirftrolle) durch und hat sich bis zu den heutigen Büchern (ausgenommen von E-Books…) im Wesentlichen nicht verändert. In meinem Beitrag möchte ich aber weniger auf die allgemeine Geschichte des Kodex eingehen als viel mehr auf die kleineren Details, die vielleicht gerade im Internet nicht so leicht zu finden oder zu verstehen sind. Dazu gehören der Aufbau, sowohl der des Einbandes als auch der einzelnen Seiten, sowie die Anordnung der Lagen und die Zitierweise.
Der Aufbau eines Codex
Zunächst einmal möchte ich euch die wichtigen Teile in einer Handschrift zeigen. Diese Art von Beschriftung kann durchaus eine Klausuraufgabe sein. So oder so empfielt es sich, diese Begriffe zu kennen und vorallem zu erkennen.
- Bordüre
Als Bordüre bezeichnet man die Verzierungen, die den Text und/oder andere Miniaturen umrahmen. - Miniatur
Miniaturen werden i.d.R. jegliche bildlichen Darstellungen eines Kodex genannt. Meist sind damit jedoch die ganzseitigen Malereien gemeint. - Initiale
Eine Initiale ist ein Anfangsbuchstabe der, wie auch oft in neueren Büchern, durch Farbe oder Größe hervorgehoben ist. Initialen in Kodizes sind zudem meist verziert (s. Punkt 5). Hier handelt es sich um eine belebte Initiale, da sich eine Figur in ihr befindet. Da die Figur im “Inneren des Buchstabens” ist, spricht man hier auch von einer historisierten Initiale. Der Buchstabenkörper dient also als Rahmen. Denkbar wäre dies auch in einem O, P, B… - Bas-de-page
Die Darstellung unterhalb eines Schriftspiegels oder einer Miniatur nennt sich Bas-de-page (frz.: Fußzeile). - Fleuronné-Initiale
Eine Fleuronné-Initiale ist ein mit floralen Ornamenten wie Blättern, Knospen, Dornen umwachsener Anfangsbuchstabe. Das Fleuronné-Ornament ist vorallem in der gotischen Buchmalerei sehr beliebt. - Schriftspiegel
Als Schriftspiegel bezeichnet man den Schriftsatz auf einer Kodexseite. Hier umfasst er nur eine Spalte, oft sind Kodizes allerdings in zwei oder sogar mehr Spalten unterteilt. Bei diesen Spalten spricht man von Kolumnen. - Durchläufer
Durchläufer sind vorgezeichnete Hilfslinien um einen einheitlichen Schirftspiegel zu erzeugen. Manchmal, so wie in diesem Beispiel kann man diese Hilfslinien noch erkennen.
Und hier die Teile des Einbands eines (mittelalterlichen) Kodex. Das sind vielleicht nicht so die super Fachwörter (gar kein latein oder französisch!) aber auch das ist wichtiges Werkzeug, wenn man mit Kodizes arbeitet …Der Plural ist einfach schrecklich!
Wie aus Bögen Lagen werden
Wenn mehrere Blätter mit einem Werk beschriftet werden z.B. bei Erzählungen, bietet es sich an, diese zu binden. Dazu nutzt man Doppelblätter, welche Bögen genannt werden. Diese werden auf der Hälfte gefaltet, ineinander gelegt und dann als sogenannte Lage gebunden.
Je nach dem wieviele Doppelblätter/Bögen in einer Lage zusammengebunden wurden, hat die Lage verschiedene Namen:
2 Doppelblätter = Binio
3 Doppelblätter = Ternio
4 Doppelblätter = Quaternio
5 Doppelblätter = Quinterne usw.
Aus diesen Lagen entsteht dann ein Kodex. Es können natürlich auch mehrere Lagen zusammengebunden werden, ein Kodex kann also z.B. wie der Codex Manesse (Die Heidelberger Liederhandschrift) aus Senionen (6 Doppelblätter-Lagen) bestehen. Hier bleibt allerings zu sagen, dass nur sehr wenige Kodizes einheitlich überliefert sind. Oft fehlen einzelne Blätter, unregelmäßige Lagen wurden dazugebunden oder unzählige Reparaturen vorgenommen.
Aus einem Codex zitieren und auf eine bestimmte Seite verweisen
Im Gegensatz zu heutigen Paginierung (Seitenzählung) werden die Seiten bzw. Blätter eines Kodex mit Hilfe der Foliierung (lat. Blatt= folium) angegeben. Es werden also nicht die jeweils beschriebenen Seiten sondern die einzelnen Blätter mit Angabe der Vorder- und Rückseite gezählt. Damit gleich klar ist, dass man sich der Foliierung bedient, schreibt man “Fol.” zu Beginn der Seitenangabe.
Als Vorderseite (recto) bezeichnet man die rechte Seite. Gut zu merken ist das einfach als “rechts”. Wem das komisch vorkommt auf der rechten Seite anzufangen, da man doch von links liest, kann ein beliebiges Buch aufschlagen- i.d.R. beginnen Bücher, ob Vorwort oder neue große Kapitel, auf der rechten Seite. Also: Vorderseite= Recto!
Als verso bezeichnet man dann also – was sonst?- die Rückseite. Das kann man sich auch ganz einfach durch das englische Wort verso (=Rückseite) merken. Ansonsten ist verso einfach das, was bei recto übrig bleibt.
Also ihr habt das 23. Blatt und ihr möchtet auf die Vorderseite verweisen? Dann schreibt ihr Fol. 23recto oder einfach Fol.23r.
Möchtet ihr allerdings die Rückseite angeben, müsst ihr verso schreiben. Also Fol.23v. Das Ganze ist also eigentlich garnicht so schwer, sobald man das Prinzip verstanden hat. Wem es noch nicht ganz klar geworden ist, hilft vielleicht das nächste Bild:
Die Sache mit der Foliierung habe ich übrigens nicht in Kunstgeschichte sondern in Germanistik gelernt. Als wir dann aber in einer KuGe Vorlesung das Thema “Kunst im Buch” hatten und die einzelnen Begriffe besprochen wurden, hat es mir aber auf jeden Fall geholfen zu wissen, was denn dieses ganze doofe Fol327r-Blabla bedeutet! Es kann sicherlich nicht schaden- und spätestens bei einem Seminar in dem Kodizes behandelt werden, sollte man das können.
Sonstige Begriffe, die im Umgang mit Kodizes von Bedeutung sind
Hier noch einige Begriffe, die ich nicht unterbringen konnte. In einem Beitag über Kodizes sollten diese aber nicht fehlen:
Faksimile/Facsimile
Ein Faksimile ist eine möglichst originalgetreue Nachbildung eines Kodex. Es misst sich also an der Ähnlichkeit mit dem Original. Obwohl Faksimiles “nur” Nachbildungen sind, werden diese auch mit größter Sorgfalt behandelt. Es dauert sehr lange solch originalgetreuen Nachbildungen zu schaffen und dementsprechend hoch sind die Kosten. Das Faksimile mit dem ich einmal gearbeitet habe, hat z.B. um die 6.000€ gekostet. Das ist also nichts, was man mal so eben schnell ersetzen könnte. Daher: Auch wenn das “Buch” von 2004 ist, muss man sehr vorsichtig sein.
Pseudo-Faksimile
Als Pseudo-Faksimile bezeichnet man die Nachdrucke eines Kodex. Es geht also in erster Linie darum, den Inhalt des Kodex zugänglich zu machen und nicht darum, dem Kodex so exakt wie möglich zu entsprechen.
Kustoden/Reklamanten
Als Kustoden und Reklamanten bezeichnet man die auf dem Ende eines Blattes befindliche Bogensignatur. Das bedeutet nichts anderes, als dass das erste Wort oder die erste Silbe der nächsten Seite aufgeschrieben wurde, damit der Buchbinder oder auch der Schreiber selbst weiß, welcher Bogen als nächstes kommt.
Palimpseste
Palimpseste sind sozusagen wiederverwendete Blätter eines Kodizes. Mittels eines kleinen Messers wurde die Tinte abgeschabt (so wurden u.a. auch Korrekturen vorgenommen) und das Pergament konnte ein zweites Mal beschrieben werden.
Tintenfraß
Einige Tinten, wie z.B. die Eisengallustinte, wurden mit Eisenvitrol versetzt. Das hat u.a. den Effekt, dass die Tinte dunkler wird. Durch die Reaktion des Eisenvitrols mit der Luftfeuchtigkeit wird eine Reaktion ausgelöst, welche den Bescheibstoff (Pergament, Papier…) angreift. Die angegriffenen Stellen fallen nicht selten kompett heraus oder lösen sich buchstäblich auf. Oft bilden sich um die betroffenen Stellen sogenannte braune Höfe, die auch die umliegenden Stellen unleserlich machen.
Ich hoffe, ich konnte dem einen oder anderen von euch die ganze Kodex-Sache etwas näher bringen. Ich selber musste mir die Foliierung und auch das Lagenprinzip mehrmals anschauen- auch wenn es euch vielleicht ganz einfach erscheint… Wenn euch die verschiedenen Malereischulen des Mittelalters interessieren, schaut doch bei meinen Epochen leicht gemacht vorbei. Bis zum nächsten Mal!
Sehr gut erklärt. Habe das in meinem Germanistikstudium (Mediävistik) leider nie vermittelt bekommen.
Danke für dein Feedback! Ich habe in Germanistik zwar nur die Einführung in die Mediävistik gemacht (danach hab ich die Neueren Deutsche Literaturwissenschaft gewählt), aber den Kodex-Aufbau habe ich tatsächlich auch nur in der Kunstgeschichte gelernt 🙂
Das zeigt auch einmal mehr, wie wichtig interdisziplinäres Denken in der Mediävistik ist, wofür ich dieses Fach sehr schätze. In meiner Magisterarbeit habe ich erkannt, wie wichtig auch die vielen historischen Hilfswissenschaften (Numismatik, Heraldik) sein können. Schade, dass dieses Fach in der Germanistik immer mehr marginalisiert wird.